Was bedeutet UX Strategie?
UX Strategy liegt an der Schnittstelle von UX Design und Geschäftsstrategie. Es ist ein Aktionsplan, um herauszufinden ob die Benutzererfahrung eines Produkts an den Geschäftszielen ausgerichtet ist und wird vor allem verwendet, um ein Verständnis zwischen Designern und den Zielen des Geschäfts / Produktes / Services zu schaffen. Genauer gesagt handelt es sich um ein Dokument mit Richtlinien und Regeln, die zusammenfassen, wie das Designteam die Ziele der Organisation / des Produkts erreichen will. Jeder Teil der Strategie sollte daher vor allem von den relevanten Interessengruppen recherchiert, erarbeitet, geprüft und auch genehmigt werden.
Die richtige Ausführung (und Erstellung) einer UX-Strategie hängt jedoch von einer Reihe weiterer Faktoren ab. Richtig angewandt ist es ein mächtiges Tool in Hinblick auf Wettbewerbsvorteile, USP und nachhaltige Unternehmensentwicklung.
Die wichtigsten Faktoren werden heute mal dargestellt und auch gerne diskutiert. Desweiteren, um meine Ansätze besser zu erläutern, beschreibe ich Jaimy Levy’s 4 Grundsätze der UX-Strategie, welche meiner Meinung nach zu den Standardwerken im Bereich UX-Strategie gehören sollten.
Wichtig:
“UX Strategie” ist NICHT “Strategische UX”. Wenn ihr mehr darüber wissen wollt: UX Strategie? Strategische UX?
Art und Größe der Organisation
Eine gut formulierte UX-Strategie muss zwei Fragen beantworten:
- Wie gestalten wir die beste Nutzererfahrung für ein bestimmtes Produkt?
- Was ist der beste Weg, UX in unserem Unternehmen zu etablieren und zu verwalten?
Die Art und Größe einer Organisation wirkt sich stark auf die UX-Strategie aus. Bei Start-ups oder kleineren Unternehmen liegt der Schwerpunkt möglicherweise auf einer schnellen Produktion oder in der Einführung oder Bereitstellung von Features für ein Produkt. In größeren, etablierteren Organisationen arbeitet meist eine Vielzahl von Teams an mehreren Produkten gleichzeitig, welche dann für das einzelne Produkt (meistens) eigene Strategien entworfen haben. Diese Strategien eignen sich möglicherweise für ein Produkt / Projekt, aber oft nicht für ein anderes.
Unterschiedliche Situationen erfordern unterschiedliche UX-Strategien. Dies kann für einige Unternehmen funktionieren, aber z. B. Unternehmen wie IBM und Google rudern nach und nach projektbasierte Strategien zugunsten einer soliden Einheitsstrategie für alle Projekte und auch alle Strategien zurück. Ein Beispiel dafür ist Google Material Design (GMD), eine Designsprache, die für Designer bei Google entwickelt wurde. GMD stellt Designern detaillierte Richtlinien und Spezifikationen zur Verfügung, um somit die Konsistenz und Qualität in ihrer Produktpalette sicherzustellen.
Wie erstelle ich eine UX-Strategie?
Der Sinn einer Strategie besteht nicht darin, vorzuschreiben, was zu tun ist. Es ist ein Dokument, das Entscheidungen vorantreibt (Hoekman, 2015) und konzentriert sich auf:
- Goals over Actions
- Ideas over To-Do’s
Es beschreibt keine spezifischen detaillierten Merkmale, sondern skizziert lediglich grob die Projektziele. Es sollte für alle Beteiligten einfach zu verstehen und zu befolgen sein. Ziel ist es, eine gemeinsame Vision für das Produkt zu schaffen.
Ein Strategy-Paper sollte so kurz sein, dass es in einem kurzen Meeting besprochen werden kann. Es sollte ein Artefakt sein, auf das man mit Leichtigkeit zugreifen, es aufhängen, oder verschicken kann, um es regelmäßig anzuschauen und zu betrachten. Wir Designer neigen ja oft dazu, uns in einem Produkt oder Projekt voller Begeisterung zu verlieren und entwerfen, erschaffen dabei Gutes, was jedoch manchmal zu viel des Guten ist. Eine gute Strategie sollte aus nicht mehr als 4 grundsätzlichen, einfachen und klaren Anweisungen (coherent actions) bestehen. (Good strategy bad strategy – R. Rumelt).
Wie diese Anweisungen umgesetzt werden sollten, wird in einem separaten Aktionsplan festgehalten, der die erforderlichen Maßnahmen etwas detaillierter beschreibt.
Ich kann das Strategie-Buch nur wärmstens empfehlen. Eine schlechte Strategie lautet beispielsweise: “We want to grow by 20%” oder “We want to be best in class regarding customer satisfaction”. Diese “Strategien” sind im Grunde bloß Wünsche und helfen praktisch niemandem. Daher ist die Ausarbeitung eines Strategie-Aktionsplans der wichtigste Teil einer guten Strategie.
Das Ziel: “We want to grow by 20%”
Die Aktion: “Write one blogpost everyday”
Die 4 Grundsätze einer UX Strategie
Levy (2015, The 4 tenets of UX Strategy) beschreibt vier Grundsätze, die die Grundlage der UX Strategie bilden.
- Business-Strategy
- Value Innovation
- Validation of User Research
- Killer UX
Geschäfts- oder Businessstrategie
Legt fest, wie ein Unternehmen in seiner Branche konkurrieren und wo es investieren wird, um die Geschäftsziele zu erreichen. Es ist die Top-Vision des Unternehmens, die Ausrichtung wie ein Unternehmen wahrgenommen wird, welche Ziele es verfolgt, wie es sich positionieren und entsprechend skaliert oder wie es seine Umsätze erhöhen will. Es ist die Basis für die Kernkompetenzen und Angebote des Unternehmens. Es sichert das langfristige Wachstum und die Nachhaltigkeit der Organisation und identifiziert Wettbewerbsvorteile, die für ein langfristiges Bestehen unerlässlich sind.
Wettbewerbsvorteile wie Kostenführerschaft und Differenzierung zu generieren sind die gängigsten Methoden (nach Porter) um den Erfolg für das Unternehmen zu steigern. Der Punkt an dem wir Designer Einfluss nehmen können, ist die Differenzierung. Wenn wie die Geschäftsstrategie verstehen, können wir oder die Teams, entsprechend dieser Leitprinzipien, Probleme erkennen oder uns auf Lösungen fokussieren, die zu einer garantierten Befriedigung der Vorstellungen unserer Benutzer führen, wenn sie das Produkt benutzen. Bei der Geschäftsstrategie geht es darum, Chancen zu erkennen, indem wir experimentieren, lernen und iterieren, bis etwas wert- und gehaltvolles identifiziert ist. Alles andere ist die ängstliche Sicherheit in kürzester Zeit von der Konkurrenz überholt zu werden.
Heutzutage ist die UX Differenzierung vor allem im Bereich der digitalen Produkte der “Game Changer” schlechthin. Differenzierte User Experience hat die Kommunikationswelt vollkommen revolutioniert. Twitter, Whatsapp oder Tinder sind nur einige Beispiele für die enorm wichtige Rolle eines UX-Wettbewerbvorteils.
Der Innovationswert (Value Innovation)
“Can be accomplished by focusing on the primary utility of a product and making the experience of it an indispensable aspect of how we live our lives” (Levy, 2015, The 4 tenets of UX Strategy).
Dies bedeutet, sich auf den wahren Wert eines Produktes zu konzentrieren. Ziel ist es, in einem sich ständig entwickelnden Markt, durch kontinuierliche Forschung und Design, Innovationen von Wert zu schaffen. Forschung und Design müssen jedoch konstant aufrecht erhalten werden, denn der Markt, Technologien, Kundenwerte und Wertschöpfungsketten entwickeln sich parallel ebenfalls ständig weiter. Dies kann noch schwieriger werden, wenn z. B. die Konkurrenz ihr Produkt verschenkt, während wir auf den falschen ROI sitzen bleiben. Value Innovation wird als “das gleichzeitige Streben nach Differenzierung und niedrigen Kosten, was einen Mehrwert für Käufer und Unternehmen schafft” (Quelle: four tenets ux strategy) beschrieben. Dies kann jedoch nur geschehen, wenn das Management mutig genug ist um Neuerungen anzugehen, welche erst den ROI also Kosten/Nutzen beweisen müssen.
Validate User Research / Nutzerforschung
Bedeutet eine Überprüfung des Konzeptes oder Produktes mithilfe von realen oder fiktiven Nutzern. Ziel ist es, Annahmen und Designs zu validieren. Wir überprüfen, ob wir mit unserem Konzept oder unserer Annahme auf der richtigen Spur ist. In einer agilen Arbeitsumgebung sollte dies regelmäßig geschehen (Design Sprints oder Design Spikes). Durch diese Tests werden unsere Hypothesen getestet und idealerweise bewiesen. Ziel ist es durch Build-Measure-Learn-Feedback-Schleifen zu messen, wie gültig unsere Annahmen, Erkenntnisse aus der Forschung und unsere Analysen daraus sind. Wird eine Annahme in einer frühen Phase als nicht valide getestet, spart dies immens Zeit und Ressourcen für die Umstellung oder Korrektur des Konzeptes. Aus der Erfahrung heraus ist es zwingend notwendig die Führungskräfte, welche oft auf bestimmte ausgefallene Produkt- / Feature-Ideen bestehen, in diese Tests und Validierungsphasen einzubeziehen. Somit werden die verschiedenen Interessengruppen innerhalb der Testsitzungen zusammengebracht und wir generieren ein einheitliches Bild über “Live or Die” eines Produktes, einer Idee oder Annahme. So können alle Beteiligten sehen, wie sich ein Produkt / Feature vor einem echten Nutzern verhält. Der absolute Vorteil der sich daraus ergibt ist eine organische Einigung über den Wert der Idee, des Konzeptes oder der Innovation und die sich daraus ergebenden Ergebnisse oder Veränderungen.
Killer UX Design
Eine Killer UX wird dann erreicht, wenn das Produkt seinen Benutzern oder Kunden erlaubt, ihre Ziele mit wenig Aufwand und mit einem hohen Wert oder Befriedigung zu erreichen. Wir sprechen hier von einer völlig reibungslosen Erfahrung oder gar einem zusätzlichen Mehrwert, dem “Joy of use”. Killer UX Designer fördern diese Wertschöpfungskette vor allem durch:
Zusammenarbeit bei der Ideenfindung:
Der UX Designer sollte so intensiv es geht mit Stakeholdern und Teammitgliedern zusammenarbeiten, denn erst dann kann er relevante Strukturexperimente entwickeln, um den Erfolg der Wertinnovation für Kunden zu testen. Somit stellt er sicher, dass er messbare Ergebnisse verwendet, Entscheidungen auf der Basis von realen Ergebnissen und keine Spekulationen auf bloßen Annahmen trifft.
Ermitteln der wichtigsten Features
Ein Killer UX Designer hilft, die wichtigsten Funktionen, die für Ihr Produkt von entscheidender Bedeutung sind, zu ermitteln und nicht mehr. Dazu gehört das Identifizieren und Ermitteln der Kernfunktionen, die für die Benutzer zwingend erforderlich sind, um die Journey, wichtige Aufgaben und Ziele zu erledigen. Die MVP-Funktionen werden dann durch Story-Boarding, Generierung von Benutzerszenarien, Kennzeichnung von Mitbewerbern und Priorisierung der Tasks identifiziert.
Ermitteln des Marktes
Ein Killer UX Designer weiß alles über den vorhandenen Markt, um jene UX-Chancen zu identifizieren, die genutzt werden können: Durch ein detailliertes Verständnis dessen, was derzeit verfügbar ist, können Designteams an effizienteren und wertvolleren Lösung arbeiten. Nur wenn ich etwas ganz genau verstehe, kann ich etwas besser machen.
Kommunikation
Ein Killer UX Designer spricht direkt mit potenziellen oder bestehenden Power-Usern, um das mentale Modell des Benutzers zu verstehen und somit zu validieren: Aus meiner Erfahrung ist dies der wichtigste und auch häufig vernachlässigte Schritt in der Strategie. Das richtige Problem zu verstehen ist der erste Ansatz um die richtige Lösung zu finden.
Omnipräsenz
UX sollte alle Berührungspunkte (online und offline) betrachten, um eine reibungslose ganzheitliche Erfahrung bereitzustellen: Dazu gehört, sich systematisch über den gesamten Prozess der Interaktion mit deinem Produkt nachzudenken. Nicht nur die tatsächliche Verwendung, sondern auch die beabsichtigte und nachträgliche Verwendung deines Produkts. Ein gutes Beispiel ist die UX Journey vor während und nach einer Reise, bei der du einen Flug von deinem Laptop aus buchst, deine Bordkarte digital auf deinem Handy anzeigen lässt, jedoch physisch ins Flugzeug steigst und aktiv reist und dann noch den Bordservices in Anspruch nimmst, während du den Verspätungsalarm auf dein Handy bekommst. Ziel ist es, dass alle Berührungspunkte der Reise reibungslos und idealerweise unvergesslich positiv verlaufen.
Eine UX Strategie ist eine Methode oder besser gesagt eine Art zu denken. Es ist kein Mittel den perfekten Plan zu formulieren und auszuführen; es geht vielmehr darum, in der Lage zu sein, erforschen zu können, was da draußen ist, Chancen zu analysieren, strukturierte Experimente durchzuführen, zu scheitern, zu lernen und zu iterieren, bis man etwas wertvolles entwickelt hat, das die Leute wirklich wollen. Eine Strategie birgt immer das Risiko zu scheitern, doch dies kann durch Research und Testing auf ein Minimum reduziert werden. Durch Research und Testing werden die strategischen Ziele und Annahmen validiert, tatsächliche Probleme für reale Kunden in einem dynamischen Markt gelöst und somit der Wettbewerbsvorteil sichergestellt.
Eine gute Strategie hilft dem gesamten Team und dem Unternehmen, eine gemeinsame Vision für effiziente Entwicklung zu erreichen. Wenn es zusätzlich mit dem richtigen Geschäftsmodell angepasst ist, kann ein sehr mächtiges Produkt entstehen, welches innovativ, “disruptiv” oder zukunftsträchtig werterhaltend und nachhaltig ist.
Die Verwendung einer Strategie bietet eine solide Richtlinie für jedes Projekt. Das Verständnis der Geschäftsstrategie und die Validierung der User-Experience-Strategie durch die Identifizierung von Value-Innovation und User-Research reduziert das Risiko, Zeit und Ressourcen zu verschwenden, an Dingen zu arbeiten, die die Leute nicht wollen, und gleichzeitig einen oder viele Mehrwerte zu identifizieren. In Kombination mit Killer UX ist eine gute Strategie eine Methode, die, wenn sie richtig ausgeführt wird, eine Garantie für die Entwicklung eines erfolgreichen Produkts bietet.