Warum der UX Design Prozess kein starrer Prozess ist.
Das liegt daran, dass sich die Umstände, Ressourcen, Zeit, Budgets, Fähigkeiten, Technologien bei jedem Projekt ändern. Wenn sich ein Prozess perfekt auf ein Projekt auswirkt, wird das nächste Projekt natürlich anders sein als das Projekt an jenem Zeitpunkt war. Also kannst du über deinen theoretischen Prozess nachdenken wie du willst, sobald das reale neue Projekt startet, wird es deine bisherigen Theorien mit hoher Wahrscheinlichkeit über Bord werfen.
Ein Prozess kann natürlich wiederholbar sein, aber es garantiert leider nicht den wiederholbaren Erfolg. Es gibt zu viele Variablen innerhalb der unterschiedlichen Projekte und hängt nicht zuletzt an den Fähigkeiten und der Motivationen der beteiligten Personen ab, die von einem Tag zum nächsten einen dieser dramatischen Unterschiede ausmachen können. Der Projekterfolg wird somit eine vage und schwer fassbare Sache, wenn man ihn im Vorfeld sichern will. Wir können unmöglich erwarten, den Erfolg im gleichen Maße zu wiederholen, indem wir die gleichen Prozessvorlagen auf jedes Projekt mit seiner eigenen tiefen Komplexität anwenden. Wir würden die Hälfte unserer Zeit damit verbringen den Projekterfolg neu zu definieren, indem wir innerhalb der kleinsten Prozessschritte (auf atomarer Ebene) ständig Anpassungen und Änderungen vornehmen müssten.
Bedenke, dass die meisten Projekte aus verschiedenen Teilnehmern bestehen und diese auch unterschiedliche Eigenschaften, Charaktereigenschaften, Mentalitäten haben, die sich alle auf das Projekt und die Zusammenarbeit auswirken.
Der Wert der Improvisation
Welcher Prozess ist denn nun derjenige der am konsequentesten zu erfolgreichen Designs und Teams geführt hat?
“Es ist immer das Gleiche, wenn ich mit einem großartigen Team in einen dieser Konferenzräume gehe”, behauptet Jared Spool.
“Der improvisierte Prozess war und ist der erfolgsversprechendste. Der speziell für dieses eine Projekt definierte und aber auch oft überhaupt nicht definierte Prozess ist meist der performanteste”.
Jared Spool ist ein Typ, der seit den 90er Jahren eine Design-Forschungsfirma und einen Think Tank betreibt und man könnte behaupten, dass nur wenige Menschen mehr Zeit mit Designern und Unternehmen in Interviews und Befragungen verbracht hat, als Jared. Und seine Forschungsarbeit und die daraus gewonnenen Erkenntnisse, welcher Prozess oder Prozesse zu einem Erfolg führen können, sind furchtbar interessant.
Wie sich herausstellt, sind die Teams, die messbar überdurchschnittlich performen, die mit den wenigsten Problemen (Anzahl von spontanen Meetings) und den wenigsten Ausfällen (Verschieben von wichtigen Meetings), de facto die, die eben keinen Prozess haben. Es sind die Teams, die für jedes Projekt einen eigenen Prozess entwickeln und häufig auch ohne eine Prozess arbeiten und somit erstaunliches erschaffen. Umgekehrt sind die Teams, die am konsequentesten Mittelmäßiges erschaffen, diejenigen, die ihre Prozesse leben und teilweise auch sehr oft darin sterben.
Ist es so verrückt eben keinen Prozess zu haben?
Denken wir mal darüber nach:
Die Teams, die am meisten Erfolg haben, sind die Teams, die voller Menschen sind, die gut zusammenarbeiten, die gut miteinander kommunizieren und die eine breite Palette an Fähigkeiten und Tools haben, die sie zum entsprechenden Zeitpunkt anwenden können. Sie nähern sich der Problemlösung auf einer Weise, die mit den Bedingungen der jeweiligen Situation arbeitet. Sie haben, wenn sie sie dann brauchen, alle UX-Tools zur Verfügung – Strategiedefinition, Benutzerforschung, Journeys, Wireframing, UI-Design, Prototyping, Usability-Tests, Datenanalyse und so weiter. Diese Teams holen sich das was sie brauchen, wenn sie es brauchen.
Wie fange ich meinen Prozess an, ohne einen Prozess zu benutzen?
Zu Beginn eines Projekts sollte man sich ersteinmal treffen um gemeinsam zu entscheiden, welches Ziel und welche Designaktivitäten entsprechend für die Situation, das Projekt geeignet sind. Ob gründliche Benutzerforschung kombiniert mit schnellen Usability-Tests und Papierprototypen oder andere Kombinationen von Methoden die besten Einblicke ergeben, das sollte man im Vorfeld gemeinsam diskutieren und dann auch entscheiden.
An jedem Punkt des Projekts sollten vor allem “Reviews” abgehalten werden, damit alle auf demselben Wissensstand sind und die Annahmen, die man im Vorfeld getroffen hat, zu validieren. Sollte sich herausstellen, dass manch eurer Annahmen sich als ungünstig herausstellen, sind schnelle Brainstormings oder kurze Co-Design Sessions gut, um neue Ansätze oder Ad-hoc Lösungen zu generieren. Standup-Meetings eignen sich hier ebenso hervorragend um kurz Probleme anzusprechen und um Feedback zu bitten.
Dadurch wird eine Situation geschaffen in der man sich im Hinblick auf die Ziele des Projekts und die Ideen des Teams, jederzeit gegenseitig hinterfragen und unterstützen kann.
Der Design Owner. Whaaaat?
Es sollte unbedingt vorab sichergestellt werden, wer die Entscheidungsgewalt über elementare konzeptionelle Designentscheidungen hat und dass der Entscheidungsträger sich nicht auf seine jeweilige Laune und persönlichen Geschmack stützt, sondern auf die im Vorfeld recherchierten Tatsachen oder solide unterlegten Annahmen.
Ich nenne dies den Design Owner, als Gegengewicht zum Product Owner. Leider gibt es ihn noch nicht offiziell innerhalb agiler Prozesse. Der inoffizielle Design Owner ist jedoch leider zu oft dein Chef, ein Vorgesetzter, ein Machtbefugter, oder gar der PO, welche mit einer einzigen Entscheidung sämtliche Recherchearbeiten und Analysen zunichte machen können. Es versteht sich, dass gutes Design somit auch niemals durch demokratische Entscheidungen getroffen wird.
(In einem anderen Beitrag erzähle ich über den perfekten Kick-Off Design Brief und die Verteilung der Rollen innerhalb des Teams)
Denn erst eine gute Strategie führt zu einem Prozess ohne die üblichen Fesseln!
Daraus lässt sich ableiten dass auch erfolgreiche Teams nach einer Strategie arbeiten. Jedoch nehmen sie ihre Projekte mit einem starken gemeinsamen Verständnis der Ziele und Unterscheidungsmerkmale auf und verfolgen diese vor allem als Team.
Idealerweise beginnt man ein Design Projekt mit einem aktuellen Strategiedokument welches gemeinsam in einem ersten Kick-Off erzeugt wird. Selbst eine schnelle und dreckige (ok formlose) Version, die die grundlegenden Visionen, Missionsziele, Designkriterien oder Erfolgsmetriken für ein Projekt umreißt, reicht, um alle Beteiligten an ein Big-Picture denken zu lassen. Ein gemeinsam erarbeitetes “Committment” bedeutet einen erheblichen Unterschied in Bezug auf die Vision und Mission eines Projekts. Oft beschränkt sich ein angeblich gemeinsames Verständnis jedoch auf den Projektverantwortlichen, welcher dann im schlimmsten Fall auch schlichtweg nur der Verfasser der Kick-Off-Mail ist, die wenig verinnerlicht wird.
Ein Strategiedokument zeigt dir immer die Richtung an, in der neue Ideen überprüft werden können und ob die Ideen zum Erfolg der Mission beitragen oder eher nicht.
Wenn der Projektumfang sich durch neue große Veränderungen ungewöhnlich erhöht, dient das Strategiedokument dazu, den Umfang erneut zu hinterfragen. Für das Team ist es der Kompass, seinen Fokus zu straffen und innerhalb eines durchführbaren Projektrahmens zu bleiben.
Um euch immer einen guten Überblick zu verschaffen, was grade Priorität haben sollte, könnt ihr euch hier meinen Design Canvas herunterladen. Dieser dient euch als Anhaltspunkt, als eine Inspirationsquelle oder Leitfaden für euch um an jeder Stelle des Dokuments anzusetzen und die nächsten Schritte einzuleiten oder vorzubereiten… Druckt euch den Canvas ruhig aus, hängt ihn neben das Strategiedokument und arbeitet damit so oft und so lange ihr wollt.
Tipps:
Nachdem ihr ein Strategiedokument erstellt habt, teilt es sofort mit allen Beteiligten. Unter der Annahme, dass es auf einer gemeinsamen Basis von Übereinstimmungen aufgebaut ist, kann das Team darauf vertrauen, dass es von nun an als ein Leitfaden für alle Designentscheidungen sein wird.
Wenn sich eine neue Idee ergibt, wird sie mit den in der Strategie beschriebenen Erfolgsmetriken verglichen, um dadurch schnell feststellen zu können, ob die Idee die Projektziele unterstützt oder nicht.
Der große Vorteil eines Strategiedokuments ist, dass es auch Individuen in die Lage versetzt, selbst gute Entscheidungen zu treffen, ohne ständige “Sign-Offs” von den Vorgesetzten abwarten zu müssen. Das berüchtigte “Micromanagement” welches gerne von schlechten Vorgesetzten gelebt wird, wird dadurch vermieden. Lass dein Team und die Teammitglieder das tun, was sie am besten können.
Wann ist der beste Prozess kein Prozess? Immer!
Ein Designprozess ist im Grunde ein Organismus, der sich ständig entwickeln will, der lebt und der vor allem nicht starr durchgeführt werden sollte. Wenn man bedenkt, dass die meisten guten Ideen immer dann entstehen, wenn Unsicherheit und Zwang ersteinmal überwunden sind, ist es klar, dass es immer sein kann, dass man innerhalb eines Projektes die ursprüngliche Idee zugunsten der “besseren” Idee aufgeben muss. In Bezug auf die Validierung einer neuen vermeidlich besseren Idee, muss also der Prozess flexibel bleiben. (Siehe Wasserfall und reverse Impact) Achte also auf den Einsatz deiner auf die Situation angepassten Tools und vertraue deinem Bauchgefühl. Sei flexibel in deiner Herangehensweise, denn dein nächstes Projekt könnte das Beste aller Zeiten werden.
Es geht im Design nicht nur um reine Arbeit mit den Werkzeuge und Methoden. Es geht darum die unterschiedlichen Tools zur richtigen Zeit und somit effizient zu nutzen. Durch diese Prozessfreiheit ist ein Team immer in der Lage, die Art, wie genau es ihre UX-Tools verwendet, so anzupassen, dass es z. B. innerhalb kürzester Zeit Usability-Tests mit Papierprototypen durchführen kann. Zum Beispiel mit kurzen Interviews im Cafe um die Ecke. Ich nenne das “on demand Benutzerforschung” indem subjektive Antworten mit vorher generierten Daten verknüpft werden, um Ahnungen oder Ideen ad hoc zu validieren.
Eine Vielzahl von Tools steht uns heutzutage zur Verfügung um an einem einzigen Nachmittag Nachforschungen, Analysen, relevante Prototypen und die Erkenntnisse daraus aufzustellen, um eine mögliche Entwurfsrichtung auszuarbeiten und ein schnelles Feedback vom Team und von den Benutzern zu erhalten. Es ist ratsam immer einen roten Faden zu haben. Nennt ihn wie ihr wollt, gerne auch Prozess. Oder lest mal die Definition von Prozess nach.
Wenn ihr mehr über leichtgewichtiges UX Design wissen wollt, schaut in den Artikel LEAN UX